top of page
  • AutorenbildTenetor

Der Grundsatz der Solidarität

"Wenn du andere so behandelst, wie du selbst behandelt werden möchtest, befreist du dich."




Aber wie möchte ich behandelt werden? Denn es wird als selbstverständlich betrachtet, dass es gut sei, die anderen so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Und wie möchte ich behandelt werden? Ich werde darauf antworten müssen, indem ich sage, dass wenn sie mich auf eine bestimmte Art behandeln, dann behandeln sie mich schlecht, und wenn sie mich auf eine andere Art behandeln, dann behandeln sie mich gut. Ich werde das also in Begriffen von Gut und Böse beantworten müssen. Und so werde ich zum ewigen Kreislauf zurückkehren und die gültige Handlung nochmals definieren müssen, entsprechend der einen oder anderen Theorie, der einen oder anderen Religion. Für mich wird eine Sache gut sein und für eine andere Person nicht. Und es wird auch jene geben, die diesen Grundsatz anwenden und die anderen sehr schlecht behandeln, weil es ihnen eben gefällt, selbst schlecht behandelt zu werden.

Dieser Grundsatz, der von der Behandlung des anderen auf der Grundlage dessen spricht, was für einen selbst gut ist, ist eigentlich sehr gut. Aber noch besser wäre es zu wissen, was für mich gut ist. So steht es also und unser Interesse wendet sich nun hin zur Grundlage der gültigen Handlung, und die Grundlage der gültigen Handlung liegt in der Registrierung, die man von ihr hat.


Wenn ich sage, dass ich die anderen so behandeln soll, wie ich selbst behandelt werden möchte, dann frage ich mich sofort: „Weshalb sollte ich das?“ Es muss wohl irgendeinen inneren Vorgang geben, irgendeine Art, wie der Geist arbeitet, die mir Probleme bereitet, wenn ich die anderen schlecht behandle. Und was könnte diese Arbeitsweise sein? Wenn ich jemanden sehe, der sich in einem sehr schlechten Zustand befindet, oder wenn ich plötzlich jemanden sehe, der eine Schnittverletzung oder Verwundung erleidet, dann stößt das in mir auf eine Resonanz. Wie kann in mir etwas auf Resonanz stoßen, das einer anderen Person widerfährt? Das klingt fast nach Zauberei! Es kommt vor, dass jemand einen Unfall erleidet und ich es beinahe physisch nachempfinde, so als wäre es mir passiert. Ihr habt euch mit derartigen Phänomenen befasst und wisst gut, dass jeder Wahrnehmung ein Bild entspricht, und ihr versteht, dass einige Bilder bestimmte Körperstellen verspannen können, so wie andere Bilder diese Stellen entspannen können. Wenn jeder Wahrnehmung eine Vorstellung entspricht und wenn man diese Vorstellung wiederum registriert – das heißt von ihr eine Empfindung hat – , dann ist es nicht allzu schwierig zu verstehen, wie es bei der Wahrnehmung eines Phänomens ein dem Phänomen entsprechendes inneres Bild gibt. Und wenn dieses innere Bild ausgelöst wird, habe ich an verschiedenen Stellen meines Körpers oder Binnenkörpers, die durch die Wirkung dieses Bildes modifiziert wurden, entsprechende Empfindungen. Ich fühle mich „identifiziert“, wenn jemand eine Schnittverletzung erleidet, da mit der visuellen Wahrnehmung eines solchen Phänomens ein visuelles Bild und parallel dazu zahlreiche koenästhetische und taktile Bilder ausgelöst werden, von denen ich wiederum Empfindungen habe, welche in mir schließlich das Registrieren der Schnittverletzung der anderen Person hervorrufen. Es wird also nicht gut sein, wenn ich die anderen schlecht behandle, weil ich dann diese Handlung auch in mir entsprechend registriere.


Fahren wir in einer fast technischen Sprache fort. Dazu werden wir die schrittweise Funktionsweise von Schaltkreisen simulieren – auch wenn wir wissen, dass die Bewusstseinsstruktur als Gesamtheit arbeitet. Nun gut, die eine Sache ist der erste Kreislauf, bestehend aus Wahrnehmung, Vorstellung, erneuter Übernahme der Vorstellung und innerer Empfindung. Und eine andere Sache ist der zweite Kreislauf, der mit der Handlung zu tun hat und in etwa Folgendes bedeutet: Jede Handlung, die ich in Richtung Welt in Gang setze, registriere ich ebenfalls innerlich. Dieses Feedback erlaubt es mir zum Beispiel zu lernen, während ich Dinge tue. Gäbe es in mir kein solches Feedback der Bewegungen, die ich ausführe, könnte ich diese Bewegungen niemals perfektionieren. Ich lerne Schreibmaschinenschreiben durch Wiederholung, das heißt, ich präge mir Handlungen durch Erfolg und Irrtum ein. Ich kann mir aber Handlungen nur dann einprägen, wenn ich sie ausführe. Jede Handlung, die ich ausführe, wird von mir registriert.


[…]


Es ist nicht bedeutungslos, welche Handlungen man in der Welt macht. Es gibt Handlungen, bei denen man innere Einheit registriert und es gibt Handlungen, die eine Registrierung von Widerspruch und Desintegration hinterlassen. Wenn wir diese Tatsache im Lichte dessen, was wir bezüglich kathartischer und übertragender Phänomene wissen, sorgfältig studieren, dann wird diese Angelegenheit – die Handlung in der Welt bezüglich Integration und Entwicklung der Inhalte – viel klarer. Aber natürlich ist diese Simulation mithilfe von Kreisläufen, um die Bedeutung der gültigen Handlung zu verstehen, ein kompliziertes Thema. Währenddessen fragt sich unser Freund immer noch: „Und was soll ich tun?“ Wir empfinden es als einheitlich und wertvoll, dieser Person, die – ohne Bezugspunkte in ihrem Leben – auf dem Gehsteig sitzt, wenigstens diese Sachen, die wir wissen, mit einfachen Worten und Taten zu vermitteln. Wenn niemand das für sie tut, dann tun wir es – so wie vieles andere, was Schmerz und Leiden zu überwinden erlaubt. Indem wir so vorgehen, werden wir auch für uns selbst arbeiten.


24 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kommentare


bottom of page